Editorial 2/2019
Spagat gefragt? Das neue TSG und seine Relevanz für die Praxis
Nach vielen Klimmzügen der großen Koalition zum Umbau des Gesundheitswesens zeichnen sich nun erste Fixpunkte ab: Im privaten Bereich wird wohl zunächst alles so bleiben wie es bisher ist, insbesondere die Privatpraxis dürfte für ältere Kollegen, nach dem Kassendasein, und für ästhetisch engagierte Individualisten die Praxisform der Zukunft sein und auch bleiben. Ich rechne damit, dass hier noch weitere Praxen nach Bekanntwerden der letzten Details und Auswirkungen des Terminservicegesetzes (TSG) hinzustoßen werden. Herr Spahn erreicht mit seinem Gesetz das Gegenteil dessen, was beabsichtigt ist. Mehr Bürokratie war noch nie eine Lösung für ein Problem!
Alle diejenigen, die im Reich schierer Planwirtschaft die Irrungen und Wirrungen des deutschen via Sozialgesetzbuch bestimmten Gesundheitswesens auskosten wollen, müssen sich auf Eingriffe in ihren Praxisablauf gefasst machen. Zunächst einmal wird priorisiert, das heißt egal auf welchem Weg man dringliche ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen möchte – entweder über die Rufnummer 116117, das Internet, via Festnetz oder per Handy –, wichtige Termine werden zukünftig eher über eine Terminservicestelle der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) vergeben. Letztendlich kommt der Termin dann über den via Internet angeschlossenen Praxisterminkalender zum Arzt. Dazu möchte das Ministerium spezielle Terminslots freigeräumt bekommen. Zusätzlich sollen fünf Stunden pro Woche für eine offene Sprechstunde zur Verfügung stehen. Ob diese Pläne auch den Dermatologen in toto treffen, wird die Zukunft zeigen. Falls dies kommt, ist geschicktes Management gefragt, sonst wird die Zeit für weitere Leistungen im Sinne der Gesundheitsvorsorge wie die Hautpflegeberatung und Wahlleistungen eher mager ausfallen.
Zusätzlich möchte der Gesetzgeber die Aufnahme neuer Patienten und vermehrter offener Sprechstunden durch extrabudgetäre Honorierung fördern. Ob es sich hier wirklich um zusätzliches sprich frisches Geld handelt oder ob nur die Bürokratie weiter gefördert wird, muss sich noch zeigen. Auf jeden Fall wird die Praxis nicht mehr die Unabhängigkeit haben, ihren Zeitplan so zu gestalten wie bisher. Kontrollen durch die KV über Patientenfrequenzen und Prüfzeiten sind vorprogrammiert. Ob wir überhaupt noch ein freier Beruf sind, darf zumindest jetzt endlich bezweifelt werden. Eine entsprechende Klage zur Prüfung der Verfassungskonformität wird nicht lange auf sich warten lassen. Auf wessen Seite die KV, die wir ja durch unsere Mitgliedsbeiträge bezahlen dürfen, nunmehr steht, sollte schleunigst geklärt werden. Vieles spricht dafür, dass eine wirksame Vertretung unserer Interessen eher über wirklich schlagkräftige Verbände (SPIFA?) und/oder andere Strukturen sinnvoll organisiert werden muss. „Getrennt marschieren, gemeinsam schlagen“ gemäß General von Moltke, lautet das Stichwort.
Zu guter Letzt fällt auf, dass die Interessen Dritter wie die der IT-Industrie stets mit Vehemenz vertreten werden, aber viele technische Details weder im Einsatz geprüft noch daten- und entsprechend betriebssicher sind, sodass letztlich die einwandfreie Nutzung der Patientendaten im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen muss. Kommt es − wie unschwer zu vermuten – durch Hackerangriffe oder Unachtsamkeit weiter zu Datenverlusten und Weiterleitung ins Internet, möchte ich nicht in der Haut der Verantwortlichen stecken. Vor der überstürzten Einführung von elektronischen Patientenakten kann nur gewarnt werden, wenn auch T-Systems in Erwartung glänzender Geschäfte noch so wirbt. Eine internationale Ächtung des Missbrauchs von Gesundheitsdaten gibt es übrigens bis heute nicht, wie mir der grüne Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz vor Kurzem bestätigte.
Ob der Arzt letztlich überhaupt als quasi Systemangestellter weisungsabhängig und budget-kontrolliert arbeiten will oder sich doch lieber als Freiberufler im Sinne des Hippokratischen Eids ganz aus dem System entfernt, darf und muss zunächst jeder selbst für sich entscheiden. Bei all diesen Entscheidungen fällt mir auf, dass Europa und die Kooperation mit anderen Ländern in den Betrachtungen unseres Gesundheitsministeriums kaum eine Rolle spielt. Toll wäre es doch, wenn man hier einmal den Fortschritt der Digitalisierung nutzen würde, um ein gemeinsames grenzüberschreitendes interoperables Basissystem für unseren Kontinent bereitzustellen und sei’s nur zur Terminvereinbarung und/oder zum Austausch von Notfalldaten.
Wer heute dank Politik zum IT-Totalverweigerer wird, vergisst allerdings die starken Seiten der Digitalisierung: Im Bereich Mobilität und Information werden die wenigsten auf ihr Handy und somit die mobile Kommunikation verzichten wollen. Das bedeutet, dass praxisassoziierte Services uns auch helfen können, den Patientenstrom in der Praxis sinnvoll zu steuern. Die Terminplanung über das Internet statt über fünf Telefonistinnen erscheint deutlich effizienter. Nachrichten über Wartezeiten via SMS oder intelligente Praxis-Apps sind längst möglich. Die Uhr am Handgelenk informiert mich über meinen kardialen Status und meine Kondition. Der virtuelle Skin Advisor existiert bereits. Automatisierte, hochwertige wissenschaftliche Informationen über Arbeitsschwerpunkte meiner Praxis sind ein weiteres sinnvolles Feld des digitalen Fortschritts und sollten die Arbeit mittels künstlicher Intelligenz erleichtern.
Große Konzerne wie Google und Apple haben das längst erkannt und stehen mit entsprechenden Angeboten in den Startlöchern. Was uns fehlt, ist das Vertrauen in den dort betriebenen Datenschutz und die Datensicherheit und eigene Alternativen. Eine Vertrauensstelle der deutschen oder europäischen Ärzteschaft müsste sich längst um alle Fragen der Versorgungssicherheit und des Datenschutzes inklusive Normen kümmern. Eine internationale strafbewehrte Ächtung des Missbrauchs von Gesundheitsdaten hätte längst umgesetzt gehört.
5G ohne eine chinesische Firma in Deutschland in entsprechender Zeit nicht möglich? Atom- und Kohleausstieg nur mit russischem Erd- und amerikanischem Flüssiggas? Atemlos realisieren wir wie die hiesige Politik die Zukunft verschläft, ja verbaut. Das Wort Weltmarktführer stand einmal für Qualitätsprodukte „Made in Germany“. Vom Radio bis zum Düsentriebwerk haben wir alles erfunden. Und jetzt Flaute? Wo gibt es schnell Risikokapital für gute Ideen und passende Infrastruktur? Hier eher nicht! Wenn uns in zehn Jahren dann der Strom ausgeht, weil wachsende E-Mobilität und Stromtrassenausbau nicht parallel liefen, werden wir noch an unsere guten alten Karteikarten denken.
Bei fortwährender Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank kann, ja muss der Staat sogar massiv in Infrastruktur investieren. Das gilt für alle Bereiche, auch für die Gesundheitspolitik. Es kann aber nicht sein, dass die Ärzte allein für die Digitalisierung zahlen und haften. Die Politik muss sich endlich um die entsprechende IT-Infrastruktur inklusive Serviceprovider in der Fläche kümmern, sonst bleiben wir auf halbem Wege hängen. Wenn der Verfasser dieser Zeilen an die jämmerlichen effektiven 3 Mbit/sec seiner Internetverbindung in einer deutschen Universitätsstadt denkt, fehlen ihm die Worte.
So bleibt mir zum Schluss, Ihnen zu versichern, dass wir Ärzte bisher über Jahrtausende hinweg alle Stürme politischer Systeme überlebt haben. Die Namen der Politiker, die versucht haben, uns ein Bein zu stellen, sind im Gegensatz dazu längst vergessen.
Mit freundlichem Gruß
Ihr
Dr. Matthias Herbst

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ästhetische dermatologie & kosmetologie 1/2025
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