Editorial 1/2021
Ob Privat- oder Kassenarzt – Einbußen haben alle!
Es heißt, ein kleines Stückchen RNA, verpackt in ein paar Proteine, habe die Welt verändert. Im Falle des ambulanten deutschen Gesundheitswesens sollte man eher sagen, dass SARS-CoV-2 eine Reihe von Unzulänglichkeiten ans Tageslicht befördert hat, die sonst mühsam verdeckt waren. Praxen sind privatwirtschaftlich organisiert, kleine bis mittelständische Unternehmen, und für diese gilt: Gewinn = Einnahmen – Ausgaben. Wobei ein auskömmlicher Gewinn in Bezug auf die eingesetzte Arbeit wohl in den meisten Praxen unter Corona-Bedingungen im April und Mai 2020 kaum noch erzielt wurde, und man froh war, wenn die Einnahmen die Ausgaben deckten. Zu Letzteren zählen bekanntlich die Löhne und Gehälter der medizinschen Fachangestellten und der Ärzte.
Jüngst fragte ein Patient, ob Arztpraxen in Sachen Corona sicherer seien als Restaurants, Kinos und kleine Geschäfte. Die Antwort ist je nach Situation verschieden. Ärzte und Patienten halten sich zum Teil in Räumen auf, für die ebenfalls ein auf die Corona-Pandemie ausgerichtetes Hygienekonzept eingerichtet werden musste. Die Kollegen haben im Vertrauen auf den Rettungsschirm und/oder das Kurzarbeitergeld weitergearbeitet, weil es um den Erhalt der Praxis, der Arbeitsplätze und der beruflichen Existenz geht und um medizinische Versorgung ihrer Patienten ging – mit und ohne Rettungsschirm, wie jetzt Anfang 2021. Ob eine Corona- und Konsultationsgebundene 245 analog im GOÄ-Bereich nach der Absenkung von 14,75 € auf 6,41 € ab 1.10.2020 den wahren Aufwand der Praxis abbildet, darf bezweifelt werden. Wer denkt an die Patienten mit schweren akuten und chronischen Dermatosen, mit onkologischen Erkrankungen, die mit unterschiedlichen Therapien – bei Systemtherapeutika wie Biologika oft ohne Unterbrechung – weiterbehandelt und überwacht werden müssen? Viele dieser Patienten werden mittlerweile – gerade wegen coronabedingten Bettenumwidmungen – ambulant betreut, die früher längst stationär eingewiesen worden wären. Nicht unbedingt notwendige Einweisungen waren und sind teilweise heute noch im Augenblick der Pandemie in den Augen der Patienten wie auch der zu Corona-Stationen umfunktionierten dermatologischen Kliniken keine gute Idee. EBM und GOÄ bildet diesen Aufwand letztendlich überhaupt nicht ab.
Damit leisten die dermatologischen Praxen auch einen wichtigen Beitrag zur Entlastung des stationären Gesundheitswesens, wo in den Augen der Öffentlichkeit die „wahren Helden“ arbeiten, wo die Kolleginnen und Kollegen direkt mit den Folgen dieser Pandemie konfrontiert sind. Uns allen wünsche ich baldigste Impfung, gerade auch zum Wohle unserer Patienten.
Helden im eigentlichen Sinne sind wir „Dermis“ vielleicht nicht, aber auch wir leisten unseren Versorgungsauftrag an der Front, wohlwissend, dass am Tag je nach Patientenzahl statistisch durchaus ein bis zwei Infizierte in der Praxis vorsprechen – Die wir manchmal detektieren, zumeist sicherlich nicht. . Oft genug erwischt es auch Kollegen. Oft hören wir ein „ Doktor, bleiben Sie gesund! Wir brauchen Sie“. Sehr gern würden wir die Zahl der Patientenkontakte in der Pandemie senken, uns neben den üblichen Problemen auf die Chroniker mit Psoriasis und Neurodermitis oder Patienten mit Tumorverdacht fokussieren oder auf wichtige allergologische Fragestellungen, gerade im Zusammenhang mit der Corona-Impfung. Das wäre ambulant auch epidemiologisch höchst sinnvoll, würde Patienten, Schwestern und Ärzte schützen, ist aber betriebswirtschaftlich durch das Mauern der Politik und auch mancher Kassen zunehmend problematisch. Seit dem 1.1.2021 gibt es keinen GKV-Schutzschirm mehr! Ein klares Honorar- und Impfstoff-Signal der Politik, an Ärzte wie auch an unsere medizinischen Fachangestellten, fehlt bis heute. Es wird keine Corona-Prämie von staatlicher Seite geben. Ein Plus der GKV-Ausgaben für ärztliche Leistungen von 1,25 % im Jahr 2020 und eine 12%ige Erhöhung der MFA-Vergütung über die nächsten drei Jahre ohne Ausgleich für die Praxen spricht Bände. Die persönliche Anerkennung in Form der Corona-Prämie für die MFAs haben wir in unserer Praxis übrigens selbst getragen.
Wir haben das gesetzlich geforderte Herunterfahren der ambulanten OPs und der Ästhetik in der ersten Pandemiewelle praktiziert und wissen bis heute im GKV-Bereich nicht, wo wir danach
betriebswirtschaftlich stehen. Die Abrechnung des 2. Quartals lässt in Hessen weiter auf sich warten (Stand 24.1.2021). Man nennt so etwas betriebswirtschaftlichen Blindflug!
Sinnvoll wäre es, sich auf die problematischen Diagnosen und Therapien zu fokussieren und die Zahl der Kontakte im epidemiologisch positiven Sinne zu reduzieren, was nebenbei im GKV-Bereich den berühmten Scheinwert sogar steigern würde. Kurzarbeitergeld ist uns eigentlich fremd, aber in diesen Zeiten muss jeder sehen, wo er bleibt. So gibt es zumindest einen betriebswirtschaftlich sinnvollen eigenen kleinen „Schutzschirm“.
Die Praxen aus Protest wegen drohender Insolvenz zu schließen und die medizinische Versorgung einzustellen und stattdessen die Restaurants irgendwann wieder zu öffnen – das ist mit Sicherheit keine von der Politik gewünschte Alternative. Wir alle freuen uns auf den Tag, an dem die Welt wieder rund läuft. Die Politik ist gefordert!
Mit besten Grüßen und bleiben Sie gesund!
Dr. Matthias Herbst und PD Dr. Sigbert Jahn
PD Dr. Sigbert Jahn, FA Dermatologie und FA Immunologie, leitet den Schwerpunkt Immundermatologie in der Praxis von Dr. Herbst & Kollegen.
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